The Death of Tresalem Avelino
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Tresalem
25. 10. 2004, 14:08 Uhr

 

„Von allen warst du der lebendigste. Du warst das Gegenteil vom Künstlichen, vom Erdachten. Ja, du warst das Erlebte. Jede Faser deines Daseins bebte wild und zügellos. Habe ich geweint, so hast du es mit mir getan. Habe ich gelacht, machtest du es mir gleich. Du warst meine Nummer eins, denn du warst ich, so oft es ging. Und jetzt bist du nicht mehr länger eine Fantasie, du bist eine Legende. Die Legende, Mensch zu sein.“

 

M. an Tresalem Avelino, 2004

 

><

 

(O.S.T.: Ennio Morricone – Ecstasy of Gold)

 

Der Moment ist gekommen. Tresalem kann nicht mehr anders. Seine Füsse gehen die kalten Stufen der verwitterten Treppe hinab. Dann berühren seine Zehen den Kies und Sand. Wie er ihn geliebt hat und noch immer tut, diesen gottverdammte Strand von Brighton. Er schaut nicht zurück. Er würde sechs Augenpaare sehen, die nicht mehr von ihm lassen. Schritt um Schritt nähert Tresalem sich dem kleinen Boot. Er verlangsamt auch nicht, als das Wetter zunehmend umschlägt. Wolken dunkler werden und Winde heftiger. Seine dunklen Augen schauen nur empor, von wo es ihm nun zart herabtropft. Niesel benetzt seine Lippen, seine Lider, seine Stirn, sein Haar. Er öffnet kurz den Mund, Niesel benetzt seine Zähne, seine Zunge, seinen Rachen.

 

Ja, es ist Zeit zu gehen. Zu lange hat der Virus in ihm gefressen. Nicht HIV, nein, schon seit Geburt litt Tresalem an schlimmeren Krankheiten. Seinen ur-eigenen. Sie sind es, die ihn nun rufen. Sie sind es, die er zum Schweigen bringen will. Der Moment des letzten Rastens ist vorbei, Tresalem ist nicht mehr von seinem Plan abzubekommen.

 

Er hört nicht mehr, wie weit hinter ihm Sheila seinen Namen lauthals schluchzt. Nein, Tresalem legt beide Hände an den Rand des Kahns und schiebt.

 

Tresalem Avelino schiebt das Boot hinaus ins Wasser.

 

Wind und Wellen peitschen dagegen an, als würden sie den Eindringling nicht dulden wollen.

 

Tresalem Avelino schiebt weiter.

 

Mit aller Kraft, mit aller noch verbleibender Macht. Seine wenigen Zuschauer sehen es mit an, seinen verzweifelten, letzten Kampf. Tresalem Avelino stosst das Boot weiter und weiter. Bereits steht er bis zur Hüfte im Wasser.

 

Die Wellen reiten es immer wieder zurück, doch trotzdem gelingt es ihm, sich in das schaukelnde Holz zu liften. Tresalem kämpft mit dem Gleichgewicht, doch schliesslich gelingt es ihm, sich hinzusetzen und beide Ruder zu ergreifen.

 

Tresalem Avelino rudert hinaus aufs Meer.

 

Er rudert und rudert. Das Meer scheint es nicht zu wollen, doch er rudert wie vom Teufel besessen. Wild peitscht die Gischt am Holz hoch, doch Tresalem rudert weiter. Er rudert und rudert, als wolle er sich alles aus dem Leib treiben. Er rudert sich das Gift aus dem Körper. Er rudert sich die Huren und Stricher von der Haut. Er rudert sich all die Geilheit, all die Gier, all die Sucht, all den Wahnsinn aus dem Kopf. Er rudert gegen all die Gegner, die er nie besiegen konnte, er rudert für all die armen Schweine, die von ihm besiegt wurden. Er rudert und rudert und seine Arme scheinen schier zu platzen. Das Boot schaukelt über die wilden Wellen und Tresalem schreit laut heraus. Es ist die Anstrengung, doch es ist auch die Erlösung. Es scheint, als würde das ganze Universum nun auf ihn blicken. Als würde es ihm die Hand reichen, jetzt, im letzten Moment, die Hand reichen und mit ihm Frieden zu schliessen.

 

Über Tresalems Gesicht weht es Meerwasser und Tränen. Seine Augen sind rotgeheult, doch auf seinen Lippen tanzt jetzt ein Lachen. Jetzt, wo er schon soweit draussen ist, der Strand von Brighton, ach dieser Strand von Brighton, nur noch ein dünner Streifen ist. Seine Gäste kann er nicht mehr erkennen. Sie stehen noch immer da. Sie sind es ihm schuldig.

 

Tresalem Avelino rudert und rudert. Er rudert noch viele Stunden und keine Minute hört er mit dem Weinen und dem Lachen auf. Erst als er ganz weit draussen ist und England nur noch ein wager Nebel ist, hält er inne. Es sind noch immer schwarze Wolken, doch durch sie bricht ein dicker Strahl von Sonne. Wenige hundert Meter vor ihm, hinab ins Meer.

 

Tresalem steht auf. Sein Körper glüht. Er schluchzt und lacht. Er wischt sich den Schweiss von der Stirn, den Regen aus den Haaren, die Tränen aus den Augen. Alles ist still. Der Morgen ist angebrochen.

 

Tresalem Avelino setzt einen Fuss auf den Rand des Bootes. Noch einmal blickt er in das Licht der Sonne. Noch einmal zurück aufs Land. Noch einmal hoch in den Himmel.

 

Der Moment ist gekommen. Tresalem kann nicht mehr anders. Mit einem Satz stösst er sich vom Rand des Bootes. Sein Körper peitscht ins Wasser. Tresalem tut keinen Wank, als er langsam versinkt. Tiefer und tiefer. Das Wasser wird immer schwerer auf seinem Körper. Seine Augen schauen hoch, zur Oberfläche, die langsam immer dunkler wird.

 

Tresalem Avelino versinkt auf dem Grund des Meeres.

Er stirbt noch an diesem Morgen und verpasst einen der sonnigsten Tage des Jahres.

 

><

 

„Es ist egal, wie hell oder wie lange deine Kerze brennt. Wichtig ist das Wachs, das sie zurück lässt. Sollte ich einmal abgebrannt sein, so soll mein Wachs ganze Hektare überzogen haben. Menschen sollen darin waten und mit ihren Füssen stecken bleiben. Sie sollen sich an mich erinnern, mich, Tresalem Avelino, der ihnen sein ganzes Leben vor die Füsse gekotzt hat, seine Seele in eine Rakete gestopft und in den Himmel gejagt hat um sie zu unterhalten, diese Hurensöhne. Das schulden sie mir. Nicht mehr, nicht weniger. Ich bin Tresalem Avelino, ein Ding irgendwo zwischen Fantasie und Wirklichkeit. Ein Mensch und ein Traum. Fleisch und Luftblase. Ich zerplatze, wenn ich zu schwer geworden bin. So wie es jeder von uns tun sollte.“

 

Tresalem Avelino, 2004

ramirez, melissa jade & special guest - God is in the TV, pt.2
Alejandro Ramirez, Melissa Jade & Tresalem